Um diese Zeit vor einem Jahr saß ich am Esstisch und habe aus dem Fenster geblickt. Es mussten noch einige Kisten ausgepackt werden, aber ich konnte meinen Blick nicht abwenden. Aus unserer neuen Wohnung war der Ägerisee mit einer Berglandschaft dahinter zu sehen.
Ich konnte es noch gar nicht so richtig fassen, aber ja: Wir leben jetzt in der Schweiz!
In mir hatte sich ein Riesen Gefühlschaos breit gemacht.
„Was ist, wenn ich die Schweizer nicht verstehe?“
„Dafür ist die Landschaft so wunderschön, wir müssen jedes Wochenende die Schweiz erkunden!“
„Was, wenn die Schweizer mich nicht mögen, weil ich ein Ausländer bin?“
„Dafür bin ich jetzt im Land der Schokolade!“
„Was, wenn ich sofort wieder nachhause möchte? Ob mich mein alter Arbeitgeber zurücknimmt?“
„Es wird schon alles gut werden!“
Wie ein Ping Pong schlugen meine Gedanken von Positiv ins Negativ. Heute muss ich ein wenig schmunzeln, aber Panik ist am Anfang ganz normal.
Ein Jahr Schweiz – mein Resümee.
HÜRDE NUMMER 1: SCHWYZERDÜTSCH
Auch, wen es viele nicht nachvollziehen konnten: Vor Schweizerdeutsch habe ich mich sehr gefürchtet! Bei meinem Probearbeiten konnte ich eine Kollegin wirklich überhaupt nicht verstehen. Sie fragte mich, ob sie Hochdeutsch reden solle, aber das wollte ich nicht. Sonst lerne ich es ja nie.
Ich erinnere mich noch gut, als ich in die Wohnung gezogen bin. Alex ist schon 1,5 Monate vorher ausgewandert, da er flexibler war und ich noch an meinen Arbeitsvertrag gebunden war. Ich hatte noch eine gute Woche Zeit, bis meine neue Stelle in Luzern anfing und Alex bat mich Müllsäcke zu kaufen. Ich war erst recht verwirrt, dann erklärte er mir, dass es Gebührensäcke gibt, welche man an den Supermarktkassen kauft. Plötzlich bekam ich Schweißausbrüche. Ich soll ganz alleine einkaufen? Was, wenn ich die Kassiererin nicht verstehe?
Ich habe es den ganzen Tag vor mir hergeschoben bis ich mich dann endlich aufgerafft hatte. Die nächste Überraschung: Supermärkte haben meistens Montag bis Freitag bis 19:00 Uhr und samstags bis 17 Uhr offen. Alles klar, noch einmal Glück gehabt. Aus Deutschland kannte ich es ja immer bis 20:00 Uhr.
Also fragte ich schnell die Kassiererin nach Gebührensäcken, sie wollte die Größe wissen und ich konnte bezahlen. Puh, ging doch ganz gut! Lächerlich, oder? Am Anfang habe ich mir aber wirklich schwergetan, durch meinen täglichen Kundenkontakt habe ich aber so viele verschiedene Dialekte gehört, dass ich sehr schnell gut verstand.
Meine beste Freundin war vor kurzem zu Besuch und wir waren shoppen. Ein Verkäufer fragte sie, ob er ihr helfen könne. Sie sah ihn ganz verwirrt an und entgegnete ganz trocken „Ich hab kein Wort verstanden“. Ich musste sie auslachen, dachte aber auch daran, dass ich vor einem Jahr am liebsten im Erdboden versunken wäre, weil ich nichts verstand.
DIE SICHERHEIT IN DER SCHWEIZ
Die Schweiz ist ein sehr sicheres Land zum Leben und bereisen. Auf dem Global Peace Index von 2017 liegt es auf Platz 9. Deutschland liegt übrigens auf Platz 16. Prinzipiell würde ich nicht sagen, dass ich mich in Deutschland unsicher gefühlt habe, aber sicherer fühle ich mich dennoch in der Schweiz. Das macht sich vor allem beim Autofahren bemerkbar. In Deutschland bin ich immer recht gestresst beim Fahren, da viel gedrängelt wird und sehr knapp überholt. Ich würde jetzt nicht sagen, dass ich im Schneckentempo unterwegs bin, aber ich fahre auch seltener mehr als 10 km/h zu schnell. In der Schweiz geht das viel gemütlicher zu. Ich fühle mich auch beim Autofahren sehr sicher und muss nicht Angst haben, gleich einen Unfall zu bauen, nur weil es jemand mal wieder zu eilig hat.
Ansonsten gibt es natürlich auch in der Schweiz öfter Nachrichten über Verbrechen, allerdings kommt mir hier die Menge auch deutlich weniger vor als noch in Deutschland. Ist ja aber auch ein deutlich kleineres Land.
AUSLÄNDERFEINDLICHKEIT IN DER SCHWEIZ?
Ich bin ein Ausländer in der Schweiz. Und ich müsste jetzt lügen, wenn ich sage, ich habe noch nie eine ausländerfeindliche Aussage an den Kopf geworfen bekommen. Viele Schweizer sind sehr stolz auf ihr Land, das darf man natürlich nicht mit Rassismus verwechseln. Es gibt auch einen so genannten „Kantönligeist“. Hierbei sind die Personen sehr auf ihren eigenen Kanton fixiert und der Begriff ist nicht unbedingt positiv behaftet. Ich habe mich mal mit einem sehr jungen Mädchen aus dem Kanton Aargau unterhalten und ihre Worte waren: „Also wir hassen euch deutsche ja schon ziemlich. Aber auch alle anderen Ausländer. Eigentlich hassen wir alle, die nicht aus unserem Kanton sind“. Eher scherzhaft gedacht (mit vielleicht ein kleeein bisschen Wahrheit) hört man öfter solche Sätze. Ihre Mutter ist wohlgemerkt auch aus Deutschland.
Es gab eigentlich nur eine Situation, bei der ich mich wirklich diskriminiert und schlecht behandelt gefühlt habe von einem Schweizer und das war, als er sich lauthals im Laden beschwerte, er würde sich doch nicht von einer deutschen Frau bedienen lassen. Ich sollte zurück, wo ich hergekommen bin, denn Ausländer sind in der Schweiz nicht erwünscht.
Ich war ziemlich fassungslos. Er wurde dann von einem Kollegen freundlich aus dem Laden begleitet.
Abgesehen von diesem Vorfall und ein paar scherzhaften Bemerkungen, fühle ich mich in der Schweiz und bei den Schweizern sehr wohl. Sie sind immer freundlich und zuvorkommen. Was sie sich denken, weiß ich natürlich nicht, aber wenn es negativ ist, spiegelt es sich zumindest nicht in ihrem Verhalten wider.
GUTES ESSEN – REGIONAL LEICHT GEMACHT!
Egal was wir kochen: Es schmeckt einfach besser als in Deutschland. Gleiche Zutaten, gleiche Zubereitung… nein nicht ganz die gleichen Zutaten, denn: in der Schweiz ist es viel leichter an regionales Essen zu kommen. Ich meine klar, auch in Deutschland kann man zum Bauern fahren und dort einkaufen, aber in der Schweiz geht es noch einmal einen ticken leichter. Im Supermarkt ist klar gekennzeichnet, was aus der Schweiz ist und was nicht. Bei manchen Produkten steht sogar, wer genau aus welchem Kanton das Produkt hergestellt hat. Man kommt also viel leichter an hochwertige Nahrungsmittel. Natürlich hat das seinen Preis, aber das ist es uns Wert.
DAS LIEBE ICH AN DER SCHWEIZ:
• Die unfassbar gute Schokolade
• Die Naherholungsgebiete. Es gibt unzählige Wasserfälle, Seen, Gletscher, Wanderungen mit Ausblicke auf das Alpenland, und, und, und…
• Nach spätestens 16 km trifft man auf einen See. Wasser hat mittlerweile eine beruhigende Wirkung auf mich, am liebsten würde ich ja mal am Meer leben.
• Das Matterhorn
• Die Zentrale Lage (nicht weit nach Italien, Frankereich, Österreich oder Deutschland)
• Es gibt viel regionales Essen im Supermarkt von guter Qualität
• Auch wenn die Schweiz teuer zum Leben ist – unterm Strich bleibt mehr übrig als in Deutschland. Somit kann ich mehr reisen!
• Die Pünktlichkeit der öffentlichen Verkehrsmittel. Bei 2 Minuten Verspätung schauen die Schweizer schon ganz nervös auf ihre Uhren.
• Mit Schweizern ist man eher „per Du“ als in Deutschland, auch mit dem Chef.
• Die Post in der Schweiz ist viel schneller als in Deutschland und ich kenne niemanden, bei dem schonmal etwas „verloren“ gegangen ist.
• Schöne Autos im Sommer. Ich bin zwar kein Auto Liebhaber, aber da schaut man als Laie schon auch hinterher. Teure Sportwagen oder schicke Oldtimer, alles dabei, wenn man im Sommer durch die Straßen fährt.
Für Alex sind vor allem die kurvigen Straßen fürs Motorradfahren und die Möglichkeit für den Wintersport ein wichtiger Punkt.
DAS GEFÄLLT MIR NICHT IN DER SCHWEIZ:
Da fallen mir tatsächlich nur zwei Sachen ein. Zum einen den lächerlichen freien Tag, den ein Mann bekommt, wenn er Vater wird. EINEN Tag. Wirklich, Schweiz? Wir haben zwar erst einmal nicht vor Kinder in die Welt zu setzen, aber ich finde das trotzdem schlimm.
Nachtrag: Seit dem 01.01.2021 gibt es auch für Väter zwei Wochen Vaterschaftsurlaub in den ersten 6 Monaten nach der Geburt.
Die zweite Sache ist die Verschlossenheit der Schweizer. Es ist einfach unfassbar schwer eine tiefe, ehrlich Freundschaft aufzubauen. Bis jetzt habe ich nur lockere Freundschaften oder Bekannte. In Deutschland könnte ich nach einem Jahr bereits von einer Freundschaft sprechen, aber hier braucht es einfach seine Zeit.
DAS VERMISSE ICH AUS DEUTSCHLAND:
Ja, ja. Geh doch zurück nach Deutschland. Nein, so schlimm ist es nicht. Aber ab und zu bekommt man schon Heimweh. Das schlimmste ist natürlich, dass man Familie und Freunde vermisst. Das erste Jahr waren wir praktisch nur an zwei Wochenenden in Deutschland, da es sich von der Arbeit nicht anders einrichten ließ. Da wir beide jetzt aber samstags freihaben, geht das zum Glück öfter. Dennoch gibt es Sachen, die ich gelegentlich mal vermisse.
• Familie & Freunde relativ spontan und ohne großen Aufwand besuchen
• Nürnberg. Einfach weil ich weiß, wo ich was finde und ich der Atmosphäre der Stadt für immer erlegen bin
• die „Lockerheit“ der deutschen. Man freundet sich einfach viel schneller miteinander an
• Kloß mit Soß`
• Käsestangen (mal ehrlich, ich hab im Land des Käses noch keine einzige gefunden? Was ist denn da los?)
• Drogeriemärkte wie DM
• ein Multiplexkino wie das Cinecitta in Nürnberg
FAZIT?
1 Jahr in der Schweiz – unserer Erfahrungen zur Auswanderung: Das positive überwiegt natürlich dem negativen. Jedes Mal, wenn wir unsere Sachen für einen schönen Ausflug packen, dann weiß ich: Alles richtig gemacht!
Meine Freundin meinte mal, wir leben den amerikanischen Traum in der Schweiz. Ganz so krass ist es natürlich nicht, aber ein bisschen recht hat sie schon. Wir haben gut Bezahlte Jobs die uns Spaß machen und wohnen dort, wo andere Urlaub machen. Es ist nicht weit zum Ski fahren oder zum schwimmen an den See. Außerdem können wir am Wasserfall picknicken oder eine Wandertour durch die Berge machen. Manches davon geht sogar unter der Woche nach der Arbeit. Es ist wirklich ein Traum hier zu leben und arbeiten zu dürfen.
Die größte Umstellung war übrigens die Sprache und die hohen Preise. Mann kann sich das zwar leisten, aber wenn man im Kopf noch deutsche Preise hat, dann dauert das bis man sich umstellt.
Außerdem ist die Schweizer Mentalität auch eine andere. Wir Deutschen sind oft zu direkt, laut und reden zu schnell. Da muss man sich auch etwas zurücknehmen.
Es wird sicher einmal die Zeit kommen, bei der wir der Schweiz, zumindest temporär, den Rücken kehren werden. Aber wann das sein wird, wird sich zeigen. Momentan genießen wir es wirklich hier zu sein und nutzen jede Möglichkeit aus, die Schweiz besser kennenzulernen.